Verrückt: Strombuch auf Papier

Wir schreiben das Jahr 2015. Unendliche Weiten. Digital natives schicken sich an, immer neue Netzwelten zu entdecken, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat: bunter, hipper, bewegter, multimedialer … Aber wer bezahlt das eigentlich alles? Oder präziser gefragt: Wo sind die Geschäftsmodelle für die multimedialen Geschichten von heute? Von dem Morgen ganz zu schweigen.

2014-03-02 15.11.40Stellen wir uns zum Einstieg mal ganz dumm. Frei nach feuerzangenbowliger Logik ist eine Dampfmaschine „ene jroße schwarze Raum, der hat zwei Löcher“. Und weil es ohne Ventil mit dem technischen Fortschritt eben auch nicht so weit her ist, setzen wir fort: „E Ventil is, wo wat erein jeht, aber sein Lebjottstag nix erauskömmt.” Rein und raus. Oder eben nur rein und nichts wieder raus. Das sind zentrale Fragen des industriellen technischen Fortschritts, die wir aus Erfahrung kurzerhand auf den digitalen Turbo-Wandel übertragen.

Aber was heißt schon Erfahrung … Wenn man wie wir von Strombuch nichts mehr liebt als gute Geschichten, dann könnte man es auch so sagen: Ideen, Können und Leidenschaft rein. Geschichten raus. Aber wo bleibt – um schön im Bild zu bleiben – am Ende die Kohle? Die stecken wir rein und rein und rein. Und raus kommt … ehrlich gesagt, zu wenig. So ist das aktuell, wenn man als kleiner Digitalverlag ein Auskommen sucht für sich und seine Autoren.

Oh wie billig!

Wird das jetzt eine Publikumsbeschimpfung? Nein, keine Sorge, Handke war und bleibt Print und irgendwie auch retro. Und es macht wirklich keinen Sinn, den Fehler im System ausgerechnet auf der anderen Seite zu suchen. Hey, Leute, wir haben Marktwirtschaft! Und das nicht erst seit gestern! Wer sich mit geistigen Ergüssen aufs Parkett wagt, sollte das Risiko kennen oder zumindest die Nebenwirkungen: Haushaltsnotlage oder  Schmalhans Küchenmeister. Das ist nun mal der Deal am freien Markt. Kultur gegen Bares. Geschichten für Kohle. Hat jahrzehntelang funktioniert. Und wer es nicht schafft, ist schlicht zu schlecht für den Markt oder zu blöd oder zu abseitig?!

Ist es wirklich so einfach?

Eher nicht. Nach zweieinhalb Jahren Strombuch gehört es zwar zum Fazit, die eigenen Versäumnisse zu sehen, aber auch, dass da draußen im weltweiten Netz eben aktuell nicht viele Antworten kursieren auf die Frage: Was kommt am Ende hinten raus? Sie kämpfen alle. Von der New York Times bis zur taz, von der multimedialen US-Story-Plattform Atavist bis zum deutschen Crowdfunding-Projekt Krautreporter. In Deutschland sind in den letzten Jahren viele spannende Ideen gestrandet (Social Reading à la Readmill), nehmen sich Auszeiten (Substanz – das Wissenschaftsmagazin) oder kommen einfach nicht richtig in Gang (Sascha Lobos Sobooks).

Und das ist nur das digitale Umfeld. Nennen Sie mir bitte EINEN deutschen (Nur-)Digitalverlag, der von den Einnahmen aus seinen E-Book-Verkäufen Mitarbeiter und Autoren angemessen bis gut bezahlen kann? Ok, liebe Mitbewerber, Bilanzen auf den Tisch, dann glaube ich alles. Aus eigener Erfahrung (auch mit prominenten Auftragsprojekten) kann ich sagen: Es ist höllenschwer. Wir reden hier also von Businessplänen und nicht von Selbstausbeutung, mit der man – zugegeben – bisweilen erstaunlich weit kommt.

AktieStrombuch

Ok, es gibt One-Man-Shows wie den Null Papier Verlag, die offensichtlich ordentlich laufen. Aber erstens steckt dahinter eben kein Team und zweitens sind die Autoren meist mausetot und ihre Werke nach 70 Jahren gemeinfrei. Andere Verlage wie Frohmann oder CulturBooks präsentieren sich und ihre digitalen Bücher wunderschön, kompetent und zeitgemäß. Da wünschen wir von Herzen viele viele verkaufte E-Bücher und günstige Mietverträge.

Aber sprechen wir lieber über uns: Warum lebt Strombuch nach rund 30 Monaten noch und gibt auch ganz sicher nicht auf? Weil wir – Achtung Geschäftsinterna! – querfinanzieren. Wir übernehmen gelegentlich Aufträge von Verbänden, Firmen oder anderen Institutionen, für die wir Projekte umsetzen. Das ist dann mehr Agentur als Verlag. Aber es bringt eben auch Kohle, die wir nicht in die Tasche stecken, sondern in die Produktion aufwendiger eigener Projekte. Pubs in London ist so ein Beispiel. Eine (multimediale) literarische Kneipentour mit dem ganz wunderbaren Universalgelehrten Johann-Günther König.

Rechnen Sie doch selbst mal durch: Eine Woche London, ein Team mit 4 Mann, Flüge, Hotelkosten (sorry, Jungs, das war ein Dreckloch, ich weiss …), Verpflegung, dutzende Kneipen und aberdutzende pints of ale. Hui, das kostet und sollte man wohl besser lassen. So denken zweifellos die meisten Verlage – und das ist ja auch richtig so, wenn es nur ums Geld geht.

Aber so wollen wir nicht denken.

Was also machen wir von Strombuch, um den Kopf über Wasser zu halten? Wie gesagt: Erstens Aufträge annehmen. Und zweitens den Überblick behalten in den unendlichen Weiten. Ich mag es ja kaum sagen, aber auch das ist uns eine Lehre: Print wirkt! Man muss es nicht unbedingt mit der Kampagne der deutschen Zeitschriften-Verleger halten, und man muss auch nicht bis in alle Ewigkeit an deren Slogan glauben „Print ist gekommen, um zu bleiben“ – aber man sollte doch so klug sein, die Realität beim Namen zu nennen: Das gedruckte Buch ist nicht tot (haben wir zum Glück auch nie behauptet). Und im Gegenteil zu ihren digitalen Geschwistern haben Druckbücher immer noch ein akzeptables Geschäftsmodell: Papier gegen Bares. So ging das schließlich immer schon.

MeisznerEntsetztStrombuch – mehr als Worte! So steht es als Mission Statement auf unserer Homepage. So wird es auch bleiben. Denn warum sollen E-Books von heute aussehen wie Bücher von gestern? Uns leuchtet das nicht ein. Aber der Markt sieht das anders. Er will immer noch und wieder auch Print. Also drucken wir’s ihm. Fein dosiert. Da, wo es Sinn macht und eine Geschichte nicht gierig nach mehr schreit. Wo sie sich genügt und der Autor Worte findet und Bilder in die Köpfe bringt, die gut und gerne für sich stehen können. Da machen wir’s und fühlen uns irgendwie hip dabei: Nach all den Experimenten und Extremen back to the roots. Trau Dich was: Druck mal ein Buch!

Dass wir’s können, zeigen wir Mitte November mit der Erstveröffentlichung von „Heimatlos“, dem neuen Buch von Frank Salewski, dem wir bereits den tollen Brief-Roman „Heimgekehrt/Back home why?“ verdanken. Sie dürfen sich freuen auf eine deutsch-tunesische Liebesgeschichte, auf Heimatgefühle und Familienfeindlichkeit. Und im Zuge der aktuellen Flüchtlingsdebatten könnten Sie sogar noch darüber nachdenken, welchen Wert ein Zuhause hat und welchen Preis Sie selbst dafür zahlen würden. Denkanstöße und gute Unterhaltung gibt es wie gewohnt als digitales Strombuch – und dann neu auch als Papier-Strombuch. Wie verrückt ist das denn …