Deutscher Krimi: Wer hat’s erfunden?

Klassische Ermittlerfrage: Wer hat’s getan? Warum? Und hier mal als Spielart des altbekannten Themas: Wo und wann eigentlich? Das Corpus Delicti ist ohne Anfangsverdacht gar nicht so leicht zu finden. Aber es gibt Indizien. Und Google. Das macht die Sache für Literatur-Detektive einfach.

Tippen Sie doch schnell mal ein: Meißner. Wie das Porzellan. Und dann: Kriminalliteratur. Wenn Sie jetzt einen gewissen August Gottlieb auf dem Schirm haben, sind wir im Geschäft. Sie haben ihn gefunden, den Begründer der deutschen Krimi-Kultur. Noch nie gehört? Ja, das ging uns genauso. Vielleicht ist das ein typisch deutsches Phänomen, dass bei allem Ernst und Schöngeist, zwischen Schiller und Dürrenmatt schnell mal ein paar Ahnen unterschlagen werden. Die wollen ja nur unterhalten. Pah! Kann man getrost vergessen…

Der alte MeißnerDabei war der alte Meißner (1753 bis 1807) seinerzeit nichts weniger als ein Bestseller-Autor und Frauenversteher, einer der Lieblingsschriftsteller des deutschen Publikums im Allgemeinen und des weiblichen Geschlechts im Speziellen, der ein völlig neues Genre auf den Weg brachte. Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel nehmen an der angelsächsischen Tradition. In England lässt man seine Stars nicht so leicht fallen. Von Poe bis Conan Doyle, da gibt es viele Exportschlager und Markenzeichen. Willkommen im Club der internationalen Kriminalliteratur. Da gehört Meißner auch rein!

Jetzt mag es Puristen geben, die Krimis anders definieren, zumal als Kind der modernen Unterhaltungsindustrie, erst recht wenn es darum geht, Spannung zu erzeugen und den Leser mitfiebern zu lassen. Stichwort Suspense. Das ist eine Technik, die A/G Meißner in der Tat noch nicht drauf hatte. Aber sind seine Texte deshalb minderwertig? Wohl kaum.

IllustrationDen ersten neuzeitlichen Versuch, einen Kriminalfall zu beschreiben, unternahm Friedrich Schiller mit der Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ von 1786. Nach einer wahren Begebenheit erzählt Schiller, wie ein Mensch zum Verbrecher wird. Die Wahl seiner Mittel nennt Schiller vorweg: „Der Held muß kalt werden wie der Leser, oder, was hier ebensoviel sagt, wir müssen mit ihm bekannt werden, eh’ er handelt; wir müssen ihn seine Handlung nicht bloß vollbringen sondern auch wollen sehen. An seinen Gedanken liegt uns unendlich mehr als an seinen Taten, und noch weit mehr an den Quellen seiner Gedanken als an den Folgen jener Taten.“

Wir von Strombuch haben uns vorgenommen, dem alten Meister neue Kleider zu verpassen. Wir nennen ihn fortan A/G (dürfen Sie ruhig amerikanisch aussprechen, machen wir auch) Meißner, weil das so schön international und schon nach Bestseller klingt. Aus seinen Skizzen und Kriminalgeschichten destillieren wir ein Best-of und packen den „Best of the Rest“ in ein zweites E-Book, das da alsbald kommt mit dem Namen „Outtakes“. Das sind sozusagen Stories für Fortgeschrittene und Fans, die nicht genug bekommen können.

Was haben wir getan? Und warum? Oh ja, wir gestehen: Wir haben verstoßen (und zwar mit Absicht) gegen die Gesetze der Literaturwissenschaft (aber nur ein bisschen), weil wir ein höheres Ziel im Blick haben: A/G Meißner muss wieder gelesen werden! Dann hätte der Zweck alle Mittel geheiligt. Schuldig im Sinne der Anklage? Aber hallo!

Zum Tathergang: A/G Meißner hat in seinen Skizzen rund 50 Kriminalgeschichten gesammelt mit teils so aparten Titeln wie „Unkeusche, Mörderin, Mordbrennerinn, und doch bloß ein unglückliches Mädchen“. Wir haben aus der Fülle insgesamt 15 Stories herausgepickt und die Überschriften zurückhaltend modernisiert. Schließlich sollen sie Lust machen aufs Lesen und nicht abschrecken mit altdeutschen Satzungetümen. Wir sind bei all dem streng subjektiv vorgegangen und haben die Geschichten gewählt, die uns am meisten beeindruckt haben. Denn das ist ja das Schöne an vergessenen National-Helden: Kein Hahn kräht nach editorischen Regeln!

Aber denken Sie jetzt bitte nicht, bei uns herrsche der Schlendrian. Unser Strombuch-Lektorat hat in mühevoller Kleinarbeit die alten Faksimile-Texte in eine lesbare Fassung übertragen. Da wurde jedes einzelne Wort gewogen und getippt und wenn nötig mit Anmerkungen bedacht. Wo andere E-Book-Verlage alte Werke einfach auf den Scanner packen, denken wir gerne zweimal.

Dirk Meißner (weder verwandt noch verschwägert), Strombuch