Film-Premiere: Zülfü Livaneli

Vor manchem Sturm gibt es diesen eigenartigen Moment der Ruhe. Man kann ihn fühlen. Auch auf dem Taksim-Platz in Istanbul war das so, als die Wasserwerfer der Polizei in Stellung gingen. Auf der einen Seite: schwer bewaffnete Polizisten, bereit zum losschlagen. Auf der anderen: Bürger der Türkei, die ihr Recht auf Mitbestimmung forderten.

Der Protest richtete sich oberflächlich gegen eine Bebauung des benachbarten Gezi-Parks, diese grüne Oase im Beton-Ofen der Großstadt. Aber da hatte sich noch mehr angestaut: Wut auf die Regierung Erdogan und eine große Sehnsucht nach Freiheit bis in die kleinen Dinge: einen Minirock tragen, ein Bier trinken, essen statt fasten, ohne sich dafür von einem autoritären Ministerpräsidenten und seinen – zugegeben zahlreichen – Anhängern beschimpfen zu lassen.

Zülfü Standbilder

Und dann flogen die Granaten. Tränengas. Und die Wasserwerfer rollten los. Unser Kameramann Cengiz Kültür hat diesen Augenblick miterlebt. Er wollte den friedlichen Protest dokumentieren – und geriet in eine Straßenschlacht. Mit diesen Bildern beginnt unser Film über Zülfü Livaneli, einen Ausnahmekünstler aus der Türkei: Musiker, Filmemacher, Schriftsteller, Kolumnist und eine der wichtigsten Stimmen im politischen Alltag des Landes – an der Schnittstelle zwischen Ost und West.

„Wir erleben einen historischen Moment“, sagt Livaneli im Film und meint damit, dass Istanbul in seiner Geschichte immer dann Regimewechsel erlebt hat, wenn sich die Bürger auf den Plätzen versammelten. Livaneli ist den schmerzhaften Weg der Türkei zur Demokratie mitgegangen. Dreimal hat er erlebt, wie sich das Militär an die Macht putschte. Er wurde eingesperrt, beleidigt und bedroht. Viele Freunde wurden ermordet. Und dennoch sagt Zülfü Livaneli: „Das ist unser Land. So oder so lieben wir dieses Land. Wir sind Menschen dieses Landes“.

Er kann gar nicht anders, als sich auf die Seite der Demonstranten zu schlagen. Livaneli fordert unter dem Jubel der Menge ein Ende der Gewalt. Tränengas und Wasserwerfer sind gerade erst abgezogen, da reiht er sich ein in den Protest – und sie singen seine Lieder, die einmal mehr zu Hymnen werden.

Zülfü Standbilder

Ausgehend von dem Konflikt in der Türkei spiegelt der Film Zülfü Livanelis Lebenswerk, greift auf unzählige Bild- und Tondokumente aus dem Besitz des Künstlers zurück, zeigt Ausschnitte aus seinen Konzerten und Filmen und lässt Weggefährten wie den Schauspieler Armin Mueller-Stahl oder die Grünen-Politikerin Claudia Roth zu Wort kommen. Es entsteht ein Bild dieses großen Künstlers und Humanisten. Ein musikalischer Film. Ein politischer Film. Ein Film seines Lebens.

Strombuch präsentiert:
Zülfü Livaneli – Eine Stimme zwischen Ost und West
Ein Film von Orhan Çalışır, Cengiz Kültür und Dirk Meißner
Deutschland-Premiere am 27.10.2013 im Schauburg-Kino in Bremen